Sie wurden wegen einer Straftat angezeigt, halten die Vorwürfe jedoch für falsch oder frei erfunden? In dieser Situation denken viele Betroffene darüber nach, eine Gegenanzeige wegen falscher Verdächtigung (§ 164 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB) oder falscher uneidlicher Aussage (§ 153 StGB) zu erstatten.
Doch so verständlich dieses Bedürfnis ist – in der Praxis ist eine solche Gegenanzeige meist nicht empfehlenswert. Warum das so ist, erläutere ich im Folgenden.
Gegenanzeige – keine strategisch sinnvolle Verteidigung
Zwar steht es Ihnen rechtlich frei, eine Strafanzeige gegen die Person zu stellen, die Sie beschuldigt hat. Aus Sicht der Strafverteidigung ist dies im laufenden Verfahren jedoch in der Regel nicht ratsam – aus drei zentralen Gründen:
1. Verlust Ihres Schweigerechts
Solange Sie im Strafverfahren selbst Beschuldigter sind, haben Sie das Recht zu schweigen – und sollten dieses Schweigerecht auch unbedingt wahrnehmen. Denn ohne Akteneinsicht wissen Sie nicht, ob überhaupt Beweise vorliegen – und wenn ja, welche. Jede frühzeitige Aussage birgt das Risiko, später gegen Sie verwendet zu werden. Das Schweigen ist deshalb kein Schuldeingeständnis, sondern ein zentrales Verteidigungsrecht.
Mit der Erstattung einer Gegenanzeige – etwa wegen falscher Verdächtigung – wechseln Sie die Rolle: Im neuen Verfahren sind Sie nicht mehr Beschuldigter, sondern Zeuge. Als Zeuge sind Sie gemäß § 57 StPO zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. Dabei besteht die Gefahr, dass Sie Angaben machen, die im ursprünglichen Verfahren gegen Sie verwendet werden.
Sie verzichten damit freiwillig auf Ihr Schweigerecht – ohne Aktenkenntnis und ohne Verteidigungsstrategie. Dadurch wird ihre Verteidigungsposition nachhaltig geschwächt – oft ohne die gewünschte Wirkung der Gegenanzeige zu erreichen.
2. Eindruck einer Gegenanzeige als impulsiver Racheakt
Eine Gegenanzeige bei Sexualdelikten aber auch anderen Vorwürfen kann bei Polizei oder Staatsanwaltschaft den Eindruck erwecken, Sie wollen sich nur „revanchieren“ oder Druck ausüben. Das wirkt auf Ermittlungsbehörden häufig wenig glaubhaft und untergräbt die Seriosität Ihrer Verteidigung.
3. Geringe Erfolgsaussichten
Auch aus rechtlicher Sicht ist eine Gegenanzeige meist nicht erfolgversprechend. Die Hürden für eine Verurteilung wegen falscher Verdächtigung oder Verleumdung sind hoch. Es muss bewiesen werden, dass die ursprüngliche Anzeige vorsätzlich falsch erstattet wurde – eine Feststellung, die in der Praxis selten gelingt.
Viele Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Falschbeschuldigungen werden daher eingestellt oder gar nicht erst betrieben, insbesondere so lange das ursprüngliche Verfahren gegen Sie noch läuft.
Empfehlung aus anwaltlicher Sicht: erst verteidigen!
Die wichtigste Empfehlung aus anwaltlicher Sicht lautet daher: Konzentrieren Sie sich zunächst voll auf die Verteidigung gegen den gegen Sie erhobenen Vorwurf.
In der Regel wird Ihre Anwältin für Strafrecht zunächst eine Verteidigungsanzeige einreichen, Akteneinsicht beantragen und danach mit Ihnen gemeinsam eine sinnvolle Verteidigungsstrategie entwickeln.
Fazit: Keine Anzeige ohne Strategie
So nachvollziehbar eine Gegenanzeige aus emotionaler Sicht sein mag – sie ist in den allermeisten Fällen kontraproduktiv.
Verzichten Sie auf impulsive Schritte und lassen Sie sich frühzeitig von einer auf Strafrecht spezialisierten Anwältin zur Frage der Gegenanzeige beraten. Und zwar bevor Sie Schritte unternehmen, die Ihre Verteidigung gefährden können.
FAQ: Gegenanzeige bei falschem Verdacht
Was ist eine Gegenanzeige?
Eine Strafanzeige, die Sie gegen eine Person erstatten, die Sie zuvor selbst angezeigt hat – etwa wegen falscher Verdächtigung, Verleumdung oder falscher Aussage.
Kann ich jederzeit eine Gegenanzeige erstatten?
Ja, formal jederzeit – rechtlich sinnvoll ist dies jedoch meist erst nach Abschluss des Verfahrens gegen Sie.
Bin ich dann gleichzeitig Beschuldigter und Zeuge?
Ja – und genau darin liegt das Problem: Als Zeuge verlieren Sie das Recht zu schweigen, was Ihre Position schwächen kann.
Gibt es Fristen für eine Gegenanzeige?
Grundsätzlich können Strafanzeigen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist jederzeit gestellt werden. Bei Straftaten, die nur auf Antrag verfolgt werden (z. B. Verleumdung), gilt aber eine Frist für den Strafantrag von drei Monaten (§ 77b StGB). Die Frist beginnt ab Kenntnis der Tat und Person.
Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Aktualität, sondern dient lediglich der ersten Orientierung.
Als Fachanwältin für Strafrecht berate ich Sie aber gerne ausführlich und individuell in einem persönlichen Gespräch. Auch verteidige ich Sie gegen strafrechtliche Vorwürfe.